Carretera Austral

Rund dreissig Stunden nachdem die Fähre in Puerto Montt abgelegt hat, erreichen wir die kleine Hafenstadt Puerto Cisnes. Leichter Morgennebel hängt in der Luft als wir zusammen mit ein paar Lastwagen von der Fähre rollen. Über eine kurze Schotterpiste geht es nun zur Ruta 7, besser bekannt als Carretera Austral. Die Strasse schlängelt sich durch nebelverhangene Täler, erklimmt aber auch immer wieder kleine Hügel und Pässe. Die wenigen Höhenmeter reichen jeweils bereits aus um dem tristen Grau zu entkommen und die nur knapp über dem Horizont stehende Sonne zu sehen. Nach wenigen Stunden taucht dann plötzlich mitten im Nirgendwo eine Stadt auf - Coihaique. Die Stadt ist ein wichtiger Versorgungsposten für die nur schwer erreichbare Region. Auch wir stoppen nur kurz um ein paar Sachen zu erledigen und Diesel aufzufüllen.

Da die Sonne bereits wieder hinter den Bergen verschwindet brauchen wir einen Platz für die Nacht. Fränzi findet auf iOverlander etwas und so folgen wir bald einem kleinen Feldweg zu einem Wasserfall im Reserva Nacional Cerro Castillo. Ein kleiner Suzuki mit Dachzelt steht bereits da, als wir ankommen. Die kurze Frage ob wir uns daneben stellen dürfen entwickelt sich sogleich zu einem längeren Gespräch. Während Fränzi Risotto kocht, kommt der Nebel immer näher und so quetschen wir uns fürs Abendessen einmal mehr zu viert in unsere kleine Stube.

Über die Grenze

Von Puerto Ingeniero Ibáñez wollen wir mit der Fähre über den Lago General Carrera nach Chile Chico an der argentinischen Grenze. Leider erklärt man uns am Hafen aber, dass die Fähre im Winter nur einmal pro Tag fährt und die für heute Abend bereits ausgebucht ist. Wir haben keine Lust fast zwei Tage in dieser kleinen und ziemlich ausgestorbenen Ortschaft zu verbringen und suchen daher auf der Landkarte nach Alternativen. Die Strasse westlich um den See herum bedeutet mehrere hundert Kilometer Umweg - zu weit. Aber nördlich vom See führt eine Piste direkt über die Grenze - sehr interessant. Wir fahren zur Polizeistation und erkundigen uns über den Strassenzustand und fragen ob es möglich ist da legal die Grenze zu überqueren. Alles kein Problem versichert man uns. Noch auf dem Polizeiposten werden unsere Pässe ausgestempelt und die Fahrzeugpapiere erledigt.

Auf dem Papier sind wir bereits aus Chile ausgereist, als wir das kleine Dorf verlassen und dem Feldweg gegen Osten folgen. Die Landschaft ist wunderschön und wir haben einen ausgezeichneten Blick über den See. Irgendwann zeigt unser GPS dann an, dass wir nun in Argentinien sind. Der Weg geht langsam bergab und nach ein paar Kurven steht doch tatsächlich mitten im Juhee ein Grenzposten. Der Beamte freut sich über etwas Abwechslung und macht sich gleich an unsere Papiere. Keine 10 Minuten später sind wir bereits wieder unterwegs und holpern über die nun viel breitere aber dafür auch viel schlechtere Schotterpiste Richtung Perito Moreno.

Perito Moreno

Nach fast 100 km haben wir es dann geschafft, wir sind auf der legendären Ruta 40 - der Argentinischen Route 66. Doch bevor unser Road-Trip in Argentinien weitergehen kann brauchen wir etwas Bargeld. Schnell finden wir in Perito Moreno zwei Bankomaten, doch beide wollen partout kein Geld ausspucken. Zum Glück haben wir aber noch ein paar US-Dollar zum Wechseln, wenn morgen die Banken wieder öffnen. Nach einer ruhigen Nacht an einem ausgetrockneten See direkt neben dem Städtchen sind wir zurück bei der Bank und stehen geduldig in der Schlange. Wir sind nicht die einzigen Touristen, die Argentinische Pesos brauchen. Eine junge Amerikanerin kommt mit dem Bus aus El Calafate weiter im Süden und erzählt uns, dass da unten kein einziger Bankomat funktioniert - na super. Ihre Chilenischen Pesos kann Sie leider auch hier auf der Bank nicht eintauschen und so helfen wir aus und tauschen ein paar der eben erst ergatterten Pesos ein. Sie ist überaus dankbar, als wir sie dann auch noch bis zur Bushaltestelle mitnehmen.

Ruta 40

Für uns geht es nun etliche hundert Kilometer durch die Pampa. Wir fahren den ganzen Tag und sehen kaum ein anderes Fahrzeug. Trockene Graslandschaft und seichte Hügel ziehen am Fenster vorbei, Guanakos stehen unbeeindruckt am Strassenrand und Nandus flüchten, aufgeschreckt vom plötzlichen Motorenlärm. Kurz vor Gobernador Gregores, am Río Chico just da wo der Asphalt endet geht die Sonne unter und wir Stellen uns für die Nacht ans Flussufer. Goldgelb leuchtet die Steppe als wir am nächsten morgen wieder aufbrechen. Nach knapp 100 km wird aus der guten Schotterstrasse dann plötzlich eine rutschige Schlammpiste. Innert Minuten ist Uyarak nicht mehr grün und wir schliddern von einer Fahrspur in die nächste während der Dreck bis übers Dach fliegt. Ab Tres Lagos - ein paar Häuser mitten im Nirgendwo - ist die Strasse dann wieder geteert und wir kommen entsprechend zügig voran.

El Chaltén

Wir erhaschen gerade noch einen kurzen Blick auf den wohl bekanntesten Berg Südamerikas bevor die Sonne untergeht und der Cerro Fitz Roy somit in der Dunkelheit verschwindet. Obwohl gerade einmal 3406 Meter hoch, gilt der nach Robert FitzRoy (Kapitän des Forschungsschiffes HMS Beagle) benannte Berg als äusserst schwer zu besteigen und wurde auch erst 1952 zum ersten Mal bezwungen.

Haben uns in den letzten Tagen die eisigen Temperaturen gezwungen das Hubdach geschlossen zu lassen, ist es heute der Wind. Mit einer ungeheuren Kraft rüttelt er die ganze Nacht am Fahrzeug und pfeift um die Kanten - dafür bleibt die Temperatur weit über dem Gefrierpunkt und der Bodennebel hat keine Chance. Ein herrlicher Sonnenaufgang erwartet uns daher und wir können gemütlich aus dem Bett beobachten wie die markanten Bergspitze langsam vor einem violett-roten Himmel aus der Dunkelheit auftauchen. Unseren ersten Tag in El Chaltén verbringen wir dann gemütlich: Einkaufen und ein paar Spaziergänge zu Aussichtspunkten und einem Wasserfall.

Laguna de Los Tres

Von der Laguna de Los Tres aus soll man den besten Blick haben auf den Cerro Fitz Roy, hat uns der nette Herr im Besucherzentrum erklärt. 10 km und 800 Höhenmeter trennen uns vom Bergsee, als wir am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang (also so gegen neun Uhr) aufstehen und unsere Sachen packen. Es ist klirrend kalt und so braucht es seine Zeit bis auch der letzte Zeh in den Bergschuhen endlich aufgetaut ist. Beim Mirrador Fitz Roy haben wir nach 90 Minuten zum ersten Mal einen freien Blick auf den Berg und sind begeistert. Leicht abwärts geht es nun zum Campamento Poincenot wo wir den Río Blanco überqueren und uns dann an die noch fehlenden 400 Höhenmeter machen. Im Zick-Zack geht es steil bergauf bis wir plötzlich oben stehen. Hoch über dem zugefrorenen Bergsee thront majestätisch die Ostflanke vom Cerro Fitz Roy - ein unglaublicher Anblick. Den eisigen Temperaturen zum Trotz essen wir gemütlich unser Brot mit feinem Salami und Käse, nur die halb gefrorene Tomate schmeckt nicht so richtig. Zurück beim Parkplatz gönnen wir uns ein Glas Wein und geniessen noch die letzten Sonnenstrahlen bevor die eisige Kälte mit der Dunkelheit zurück kommt.

Laguna Torre

Nach einem Ruhetag brechen wir zu einer weiteren Wanderung auf, denn neben dem Cerro Fitz Roy steht noch ein weiterer, vor allem unter Kletterern sehr bekannter Berg: der Cerro Torre. Gemütlich geht der Weg durch Steppenvegetation und folgt immer dem Río Fitz Roy, wenn auch in gebührlichem Abstand. Durch einen losen Südbuchenwald kommen wir zum Mirrador Cerro Torre. Während das weite Tal des Río Fitz Roy noch im Schatten liegt, leuchten die Felswände des Torre bereits in der Morgensonne. Auch wir setzten uns dankend an die Sonne während ich die zugefrorene Trinkflasche mit dem Messer aufhacke.

Weiter dem Fluss folgend steuern wir auf die berühmte Felsnadel zu und wandern dabei durch eine märchenhafte Winterlandschaft. Kurz hinter dem Base Camp für die Kletterer erreichen wir die zugefrorene Lagune. Wir haben auch hier wieder richtig Glück mit dem Wetter und so präsentiert sich der Cerro Torre vor tiefblauem Himmel. Ein leichter, aber eiskalter Wind lässt uns schneller Essen und so sind wir bald wieder auf dem Abstieg.

Wir hoffen auf etwas weniger kalte Temperaturen weiter weg von den Bergen und verlassen deshalb El Chaltén noch am selben Abend. Der Plan geht auf, für einmal ist das Kondenswasser innen im Auto am nächsten Morgen nicht gefroren.

El Calafate

Gerade mal 120 Kilometer Luftlinie trennen El Chaltén und El Calafate, auf der Strasse sind es dann aber fast doppelt so viel. Doch wegen der Ortschaft fährt niemand hierher, das eigentliche Ziel liegt nochmals 75 km weiter westlich: der Glaciar Perito Moreno. Gespannt fahren wir am nächsten Morgen zum Parkeingang und müssen erst einmal leer schlucken: 330 Pesos (ca. Fr. 24) kostet der Eintritt - pro Person und Tag. Zähneknirschend bezahlen wir den überrissenen Preis und fahren hinein in den Park. Leider behält unser Reiseführer recht mit der Aussage, dass Nationalparks in Argentinien wenig mit Umweltschutz zu tun haben und nur als Einnahmequelle dienen. Der Anblick des Gletschers lässt uns die Unfähigkeit der Argentinischen Behörden dann aber schnell vergessen. Blau schimmert die 40 bis 70 m hohe Eiswand vor uns in der Sonne. Die Dimensionen sind gewaltig, der Perito-Moreno-Gletscher ist mit 254 km² der grösste von unzähligen Auslassgletschern des Campo de Hielo Sur, einem Eisfeld das einen Drittel der Fläche der Schweiz aufweist.

Zurück in der Stadt finden wir am nächsten Tag dann endlich einen Staubsauger um die Heizung zu reinigen - seit Tagen suchen wir bereits danach. Ein gutes Jahr ist es her, seit wir unsere Dieselheizung das letzte Mal in Betrieb hatten und entsprechen viel Staub hat sich seither in den Lüftungsrohren angesammelt. Mit dem Staubsauger ist die Heizung im Nu sauber und auch die übrigen Besorgungen sind bald erledigt.

Zurück nach Chile

Bei der kleinen Ortschaft Tapi Aike (OK, eigentlich ist es nur ein Polizeiposten, eine Tankstelle und zwei Häuser) verbringen wir unsere vorläufig letzte Nacht in Argentinien und die bisher kälteste. Am Morgen sind die Zahnbürsten steinhart gefroren und trotz Motorstandheizung braucht es nach dem Losfahren eine ganze Weile bis wir keine weisse Wolke mit unverbranntem Diesel mehr hinter uns herziehen.

Langsam holpern wir über die hartgefrorene Schotterpiste und hoffen, dass der kleine Grenzübergang westlich von Cancha Carrera ganzjährig geöffnet ist. Wir haben Glück und die Argentinischen Beamten erledigen unsere Papiere trotz Mittagspause. Kaum sitzen wir wieder im Auto, entdeckt Fränzi einen Kondor nur wenige Meter neben der Strasse. Sieben Kilometer weiter westlich müssen sich ihre Chilenischen Kollegen aufgrund der Zeitverschiebung noch eine Stunde gedulden bis zur Mittagspause und so geht es auch hier schnell und unkompliziert. Die ansonsten obligatorische Kontrolle auf mitgeführte Lebensmittel entfällt - das kalte Wetter hat auch seine Vorteile.

Torres del Paine

Während am Himmel zusehends dunklere Wolken aufziehen, fahren wir gegen Norden zum Parque Nacional Torres del Paine. In der Ranger-Station erkundigen wir uns nach dem Wetterbericht für morgen - Wolken, Regen, mehr Regen und vielleicht noch etwas Schnee. Bei diesen Aussichten streichen wir die geplante Wanderung und besuchen den Park auf amerikanische Art - mit dem Auto. Bei voll aufgedrehter Heizung fahren wir durch die herrliche Landschaft und bewundern die vielen kleinen Seen mit ihren ganz unterschiedlichen Blautönen. Die Nacht verwandelt die nassen Schotterpisten in Eisbahnen und so lassen wir am nächsten Morgen Uyarak erst mal stehen. Zu Fuss laufen wir zum Salto Grande, einem türkisfarbenen Wasserfall. Zwei Stunden später sind die Strassen dann wieder befahrbar und wir setzten unsere Rundfahrt fort.

Hafenstädte

Über kleine Seitenstrassen lotst mich Fränzi vom Nationalpark aus direkt in die Hafenstadt Puerto Natales. An einem Sonntag im Winter wirkt die Stadt wie ausgestorben. Wir schlendern auf der Suche nach einer Wäscherei und einem gemütlichen Restaurant durch die Gassen, finden aber weder das eine noch das andere. So verlassen wir am späten Nachmittag die Stadt bereits wieder und versuchen unser Glück am nächsten Tag in Punta Arenas, einer etwas grösseren Stadt an der Magellanstrasse.

Der ausgewählte Supermarkt führt zwar keine Frischprodukte, dafür aber Schokolade und Süssigkeiten mit einer unglaublichen Auswahl. Fränzi ist begeistert und unser Einkaufswagen füllt sich schnell. Vollgestopft mit Kuchen, Keksen, Schokolade und Chips stellen wir Uyarak beim Hostal Independencia ab und machen es uns in der beheizten Küche gemütlich. Während Fränzi am nächsten Tag fleissig Bewerbungen schreibt, lasse ich bei Uyarak wieder einmal das Motorenöl wechseln. Ausserdem buchen wir für den nächsten Morgen einen Platz auf der Fähre nach Porvenir auf Feuerland.